“Farbe ist eine Kraft, die die Seele direkt beeinflusst”
Wassily Kandinsky (1866–1944)
Herbst- und Winternachmittage sind wie gemacht für einen Besuch in einer Kunstausstellung. Zeit, einmal wieder in Ruhe die Gemälde der alten Meister zu studieren und zu bestaunen. Die faszinierenden Details, die Lichtstimmungen und natürlich die betörenden Farbwelten.
Ich habe vor einiger Zeit ein Buch über Farbpigmente entdeckt, das ich hierzu einmal empfehlen möchte. Es hat meinen Blick auf die zum Teil jahrhundertealten Meisterwerke noch einmal geweitet. Und es hat mich nachhaltig inspiriert…
“Farbpigmente – 50 Farben und ihre Geschichte”
Autor des Buches ist David Coles – Gründer der australischen Firma Langridge Artist Colors – einer der weltweit renommiertesten Hersteller von Ölfarben für Künstler. Coles hat mich mit seinen kompakten Texten auf eine Reise durch die Welt der Farben mitgenommen. Denn schließlich sind es die Farbpigmente, winzige Farbteilchen, die den grandiosen Malereien zu Grunde liegen. Die berauschendes Rot, bestechend schönes Blau und so viele Farben mehr entstehen lassen. Ich finde, sie sind es wert, dass wir mal einen Blick auf ihre Geschichte werfen.
Im Rausch der Farben
Im Laufe der Geschichte waren Künstler und Alchemisten immer bestrebt, neue Farben zu entdecken. Es war ein spannender Prozess der ständigen Entwicklungen. Pigmente von außergewöhnlicher Reinheit und Ausstrahlungskraft bilden die Grundlage für beeindruckende Malereien. Einige Farbpigmente hielten den Erwartungen stand, andere verschwanden wieder von der Bildfläche.
Pigmente – kostbar bis tödlich
Manche Farbpigmente waren einst wertvoller als Gold, andere entpuppten sich als so giftig, dass zahlreiche Menschen erkrankten oder gar starben.
David Cole verrät uns auch, welche Tiere für das im 16. Jahrhundert sehr gefragte Koschenille ihr Leben lassen mussten und nach wem die Kobalt-Pigmente benannt sind.
Meine Kinder fanden die Geschichten über Pigmente, die aus Gebeinen gewonnen wurden, am spannendsten – Beinschwarz und Beinweiß.
Als schaurige Halloween-Story taugt die Gewinnung von Mumienbraun. Hier verrät der Name tatsächlich seine Herkunft.
Neugierig habe ich Seite für Seite verschlungen. Am Ende verdeutlichen Rezepte die Herstellung von Pigmenten, und Cole erklärt auch, wie daraus Farben werden. Das Buch ist kurzweilig, sehr gut lesbar und wunderschön anzuschauen. Die fantastischen Fotografien des Fotografen Adrian Lander wecken die Lust, das Buch immer wieder durchzublättern.
Ich greife gerne nach dem Buch, schlage nach, bleibe an den Bildern hängen, lese meinen Kindern Passagen vor. Das Buch macht Lust auf die weitere Auseinandersetzung mit Farben und ihren Pigmenten.
“Farbpigmente – 50 Farben und ihre Geschichte” von David Coles mit Fotografien von Adrian Lander ist 2019 im Haupt Verlag erschienen.
Film-Tipp und weitere Empfehlungen:
Die Lektüre des Buches “Farbpigmente – 50 Farben und ihre Geschichte” weckt die Erinnerungen an einen wunderschönen Film: “Das Mädchen mit dem Perlenohrring” aus dem Jahre 2003, basierend auf dem Roman von Tracy Chevalier. Sie hat sich von dem unbekannten Mädchen aus dem Gemälde “Meisje met de parel” (Mädchen mit dem Perlenohrgehänge) des niederländischen Malers Johannes Vermeer (1632–1675) zu einer fiktiven Geschichte inspirieren lassen.
Der Film mit Colin Firth und Scarlett Johansson passt wunderbar zu dem Buch und besticht durch seine wunderschönen Bilder und die Musik. Im Film wird Griet, die junge Magd, in den Prozess der Farbherstellung eingeweiht. Was im Film sehr ästhetisch anmutet, war in Wirklichkeit eine giftige und oft sehr teure Angelegenheit.
“Das Mädchen mit dem Perlenohrring”, Großbritannien 2003
Diese magische Leuchtkraft…
Wir betrachten ein Gemälde wie “Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge” vielleicht noch interessierter, wenn wir wissen, woraus die damals verarbeiteten Farben bestanden und wie mühsam und aufwändig es war, überhaupt an die notwendigen Pigmente zu gelangen.
Erst wenn wir vor einem Originalgemälde stehen, entfalten die Farben ihre wahre Wirkung und verschlagen uns manches Mal die Sprache. Die Dichte und Kraft, das intensive Leuchten, die Reinheit und die Vielschichtigkeit lassen sich hier am Bildschirm ja nur erahnen.
Deshalb ist ein Besuch des wunderbaren Gemäldes von Johannes Vermeer, das in im Mauritshuis in Den Haag in den Niederlanden zu bestaunen ist, unbedingt lohnenswert. Es gehört wohl zu den beliebtesten Gemälden der Kunstgeschichte und ist, ob seiner Schlichtheit und genialen Klarheit, ein Paradebeispiel für die Wirkung von Farben.
Tipp:
Auf der Webseite des Mauritshuis gibt es einen unglaublich interessanten Blog: “Girl with a blog” von der Gemälderestauratorin Abbie Vandivere. Im Frühjahr 2018 wurde das “Mädchen mit dem Perlenohrgehänge” von Wissenschaftlern und Restauratoren genau unter die Lupe genommen. Es gibt neue Erkenntnisse zur Maltechnik und den verwendeten Farbpigmenten. Abbie Vandivere lässt uns an diesen Erkenntnissen teilhaben und erklärt peu à peu, welche Pigmente Vermeer verwendet hat.
Es lohnt sich wirklich sehr, dort einmal reinzuschauen: bitte hier entlang!
Mauritshuis
Plein 29
2511 CS Den Haag
Niederlande
www.mauritshuis.nl
Und noch mehr Lesestoff…
Wer nun noch Lust auf einen einen wunderbaren thematisch passenden Roman hat, dem möchte ich den Roman von Renate Feyl “Lichter setzten über grellem Grund” ans Herz legen. Der Roman ist bereits 2011 erschienen.
Renate Feyl hat einen spannenden und sehr lebendigen Roman über das Leben der bedeutendsten Porträtmalerin des 18. Jahrhunderts, Elisabeth Vigée-Lebrun, geschrieben. Auch sie entführt uns in die Welt der Farben.
Vor dem Hintergrund der französischen Revolution und einem Europa des Umbruchs hat sich Elisabeth Vigée-Lebrun ihrer Kunst mit einer unstillbaren Neugier und Leidenschaft gewidmet. Mit ihr entdecken wir die Geheimnisse der Farbenfabrik, mit ihr begeben wir uns auf die Suche nach der “Farbe des Lebens, die in allen anderen Farben wie ein Keim aufging, die sie trug und zur Entfaltung brachte…” (Zitat S. 73). Vigée-Lebrun hat in ihren Porträts einen modernen, freieren Ton angeschlagen. Feyl setzt das Leben der mutigen Frau mitreißend in Szene. Ein historischer Roman, ein interessantes und atmosphärisches Zeitporträt!
Hier noch ein Ausschnitt zum oben bereits erwähnten Mumien-Pigment:
“Mumie besaß(…) eine stillwirkende Kraft, denn so wie das Mondlicht sich in die Farben einschmolz, glättete Mumie die Kontraste und band alles Unruhige. Der hauchfeine Staub von zermahlenen Resten ägyptischer Mumien gab den Farben eine unsichtbare Konstanz, ließ sie geschlossen und beharrend wirken…” (Zitat S. 166 unten)
Wer jetzt neugierig geworden ist:
Der Roman “Lichter setzen über grellem Grund” von Renate Feyl ist im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen.
Mehr Lust auf Kunst? Schauen Sie doch mal hier…
- Zu Besuch bei Künstlerin Janina Musialczyk
- Vilhelm Hammershøi – sichtbare Stille
- Zu Besuch im Atelier von Keramikkünstlerin Stanislava Maryšková
Übrigens: