“Sich zu sehr an die Fakten zu halten kann die Essenz der Dinge verderben. Das innere Auge erkennt oft mehr.”
Karl Lagerfeld
Ich lebe in einem alten Haus mit wunderschönen Holztüren, einem honiggelben Dielenboden und Sprossenfenstern. Manchmal, wenn das Sonnenlicht durch eines der Sprossenfenster dringt, verharre ich beinahe ehrfürchtig und beobachte das Schattenspiel, das das Licht auf Wände und Boden zaubert. Die Linien, die durch Hell und Dunkel entstehen. Durch die Sprossenunterteilung wird das Licht in einzelne Bündel gespalten – die Sonnenstrahlen werden durch den feinen Staub in der Luft sichtbar, gerade so, als brächen sie durch die lichten Baumkronen eines Laubwaldes.
Vor einigen Jahren stieß ich auf ein Bild, auf dem eine solche Stimmung auf faszinierende Weise dargestellt ist.
“Tanz der Staubkörnchen in den Sonnenstrahlen (Strandgade 30), 1900.
Der Maler des Ölbildes ist der Däne Vilhelm Hammersøi (1864 – 1916), einer der wohl bedeutendsten Künstler Dänemarks des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts.
Nichts auf dem Bild lenkt von der Schönheit des Augenblicks ab. Vielmehr lässt das Bild Raum für Empfindungen und Einbildungskraft. Das Bild hat Aura, eine besondere, geheimnisvolle Magie, die mich in ihren Bann zieht.
Vilhelm Hammershøi hat viele Räume gemalt, stille Räume. Zwar zählen auch menschenleere Stadtansichten, Landschaften und Porträts zu seinem Werk, heutzutage kennt man ihn jedoch überwiegend wegen seiner Interieurs.
Vilhelm bekam ab seinem achten Lebensjahr Zeichenunterricht und studierte später an der Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen (von 1879 – 1884). Aber erst im Anschluß, an der neu gegründeten “Freien Kunstschule” (“Kunstternes Frie Studieskoler”), entwickelte er seinen einzigartigen Stil.
Ausstellungstipp:
“From the Golden Age to Hammershøi. Danish art from Ordrupgaard Museum and the Gothenburg Museum of Art”, 12. Oktober 2019 – 22. März 2020
Nachdem neun Bilder Vilhelm Hammershøis, acht Interieurs und eine Landschaft, aus der Sammlung des Museums Ordrupgaard in Charlottenlund nahe Kopenhagen im Rahmen der Ausstellung “Im Licht des Nordens” in der Hamburger Kunsthalle zu sehen waren, ist die Ausstellung nun weiter nach Göteborg gezogen. Gemeinsam mit einigen Meisterwerken der dänischen Malerei des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts erzählen die Bilder vom Aufbruch der dänischen Kunst in die Moderne.
Ein Besuch der Ausstellung ist eine wunderbare Gelegenheit, einige der sinnlich minimalistischen Bilder Hammershøis im Original zu betrachten und sich selbst einen Eindruck von der Wirkung und Ausstrahlung der Bilder des Dänen zu verschaffen.
Vilhelm Hammershøi – Licht und Atmosphäre
Hammershøis Bilder fesseln mich durch ihre dezente Farbgebung und einen harmonischen Dialog von Hell und Dunkel. In manche Interieurs, die zumeist in seinen eigenen Wohnräumen entstanden sind, tauchen gelegentlich Figuren auf. Häufig seine Frau Ida. Jedoch stehen nicht sie oder ihre Handlung im Mittelpunkt, vielmehr scheint es um die Architektur des Bildes zu gehen.
Mal liegt der Fokus im vorderen Teil des Bildes, mal in der Tiefe – als spielte Hammershøi wie ein Fotograf mit Schärfen und Unschärfen im Bild. Für Räume hatte er ein besonderes Auge, wobei die Möblierung nur ein Randaspekt ist.
Es wirkt als wandelte der Künstler mit fotografischem Blick durch sein Haus und hielt, ob der Ästhetik des Moments, kleine Szenerien fest, eben wie ein Fotograf. Das natürliche Licht schien sein Verbündeter.
Manchmal ist das Einfache, das Unspektakuläre das Besondere. Eine Frau steht am Fenster. Eine Frau sitzt am Tisch, vertieft in eine undefinierte Tätigkeit. Oft sind die Frauen von hinten zu sehen. Das Licht fällt auf die Nackenpartie. Die Atmosphäre ist von intensiver Sinnlichkeit und Ruhe, fast gerät man ins Flüstern, damit man nichts stört…
Mit fotografischem Blick
Die Menschen auf Hammershøis Bildern posieren nicht bewusst, sie erzählen keine Geschichte, eher wirkt es wie eine Momentaufnahme, die der Künstler als Schnappschuss festhält. Ein Ist-Zustand, den Hammershøi jedoch nicht mit dem Fotoapparat (mit dem man damals ja auch noch sehr lange Belichtungszeiten hatte), sondern in aufwendiger Technik (in Öl) auf die Leinwand bringt.
Die Tonalität der Bilder, die farbliche Darstellung der kontrastreichen Flächen, die Abbildung von Licht und Perspektive, die Weichheit der Linien und die Komposition – all das erinnert an Fotografien, die Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts entstanden sind.
Den Aspekt, dass die Fotografie seinerzeit als neues, aufregendes Medium die bildende Kunst des 19. Jahrhunderts beeinflußt hat, finde ich sehr spannend (hierzu lässt sich einiges in der Monografie “Hammershøi und Europa”, siehe Empfehlungen unten) nachlesen.
Schaut man sich aktuelle Interieurbilder und ‑Inspirationen an, sieht man oft ähnliche Perspektiven, Bildkompositionen, manchmal mit der Rückansicht von Figuren. Keiner weiß, wer diese Menschen sind…aber das ist auch nicht nötig, sie bereichern den Bildaufbau durch ihre Anwesenheit, eine besondere Atmosphäre wird verbreitet – so wie bei Hammershøi im vorletzten Jahrhundert..
In meinen Augen hat auch das Bild “Nähendes Mädchen (Die Schwester des Künstlers, siehe oben)”, 1887, welches ebenfalls in der Hamburger Kunsthalle im Original zu sehen ist, besondere Aufmerksamkeit verdient. Die Anmut der jungen Frau beim Ausüben einer vermeintlich alltäglichen Arbeit ist ergreifend. Was der Betrachter fühlt und denkt, ist ihm überlassen. Das Mädchen ist vertieft… Der Hell-Dunkel-Kontrast scheint durch die Weichheit der Linien aufgehoben. Hammershøis Bilder sind sehr reduziert und dadurch ermöglicht er dem Betrachter und dessen Seelenleben diese Kunst zu vollenden.
Es hat mich sehr gefreut, dieses Bild im Original zu sehen, und nicht umsonst ist es zum Plakatmotiv der Ausstellung gewählt geworden.
Jeder Mensch, jedes Auge nimmt Unterschiedliches wahr, meines ist erfüllt und bezaubert vom Licht und der Atmosphäre der Bilder Vilhelm Hammershøis.
Sind Sie neugierig geworden und möchten mehr über Vilhelm Hammershøi, seine Kunst, seine Intentionen und den Aufbruch der dänischen Maler des 19. Jahrhunderts in die Moderne erfahren?
Empfehlungen:
Ausstellung:
Diese Ausstellung ist nun leider vorbei aber wer auf Reisen in der schwedischen Stadt Göteborg vorbeikommt, kann sich dort die wunderbare Ausstellung und die Bilder Hammershøis vom 12. Oktober 2019 bis zum 22. März 2020 im Original im Gothenburg Museum of Art ansehen.
Neben den Werken Hammershøis sind noch weitere wunderschöne Malereien dänischer Künstler zu betrachten. Szenen des dänischen Landlebens, Szenen aus dem realen Leben sind Sujets der Malerei.
So haben mich Johannes Larsens “Schellenten in einem Eisloch”/1899 ob ihrer Klarheit ebenso fasziniert wie sein Werk “Sommer, Sonne, Wind”/1848, das das nordische Licht auf so wunderbare Weise einfängt. Peter Hansens “Heumahd auf Südfünen”/1902 sprüht vor Leichtigkeit und sommerlicher Frische.
Gefangen hielt mich Vilhelm Kyhns “Landschaft bei Silkeborg”/ 1848. Es mag wohl an der besonderen Farbigkeit und Ruhe dieses Bildes liegen.
Bücher:
Den Katalog zur Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle mit Einzelkommentaren zu sämtlichen Exponaten kann man in gebundener Form, als wunderschönes Buch, im Onlineshop der Hamburger Kunsthalle oder beim Wienand Verlag bestellen.
(Herausgegeben von Markus Bertsch;
Beiträge von Anne-Birgitte Fonsmark, Felix Krämer, Marie-Louise Monrad Møller, Carl-Johan Olsson, Nelly Struck, 160 Seiten, mit 70 farbigen und 5 s/w Abb.)
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