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Vilhelm Hammershøi – sicht­bare Stille

Vilhelm-Hammershoi-"Im Licht des Nordens" - Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle

 

Sich zu sehr an die Fakten zu halten kann die Essenz der Dinge verderben. Das innere Auge erkennt oft mehr.”
Karl Lager­feld

 

Ich lebe in einem alten Haus mit wunder­schönen Holz­türen, einem honig­gelben Dielen­boden und Spros­sen­fens­tern. Manchmal, wenn das Sonnen­licht durch eines der Spros­sen­fenster dringt, verharre ich beinahe ehrfürchtig und beob­achte das Schat­ten­spiel, das das Licht auf Wände und Boden zaubert. Die Linien, die durch Hell und Dunkel entstehen. Durch die Spros­sen­un­ter­tei­lung wird das Licht in einzelne Bündel gespalten – die Sonnen­strahlen werden durch den feinen Staub in der Luft sichtbar, gerade so, als brächen sie durch die lichten Baum­kronen eines Laubwaldes.

Vor einigen Jahren stieß ich auf ein Bild, auf dem eine solche Stim­mung auf faszi­nie­rende Weise darge­stellt ist.
“Tanz der Staub­körn­chen in den Sonnen­strahlen (Strand­gade 30), 1900.
Der Maler des Ölbildes ist der Däne Vilhelm Hammersøi (1864 – 1916), einer der wohl bedeu­tendsten Künstler Däne­marks des ausge­henden 19. und begin­nenden 20. Jahrhunderts.

Vilhelm Hammershøi – Tanz der Staubkörnchen in den Sonnenstrahlen (Strandgade30)/Foto: Anders Tune berg

Tanz der Staub­körn­chen in den Sonnen­strahlen, 1900 Öl auf Lein­wand, 70 x 59 cm Ordrup­gaard, Kopen­hagen © Foto: Anders Sune Berg

Nichts auf dem Bild lenkt von der Schön­heit des Augen­blicks ab. Viel­mehr lässt das Bild Raum für Empfin­dungen und Einbil­dungs­kraft. Das Bild hat Aura, eine beson­dere, geheim­nis­volle Magie, die mich in ihren Bann zieht.

Vilhelm Hammershøi hat viele Räume gemalt, stille Räume. Zwar zählen auch menschen­leere Stadt­an­sichten, Land­schaften und Porträts zu seinem Werk, heut­zu­tage kennt man ihn jedoch über­wie­gend wegen seiner Interieurs.
Vilhelm bekam ab seinem achten Lebens­jahr Zeichen­un­ter­richt und studierte später an der Däni­schen Kunst­aka­demie in Kopen­hagen (von 1879 – 1884). Aber erst im Anschluß, an der neu gegrün­deten “Freien Kunst­schule” (“Kunst­ternes  Frie Studies­koler”), entwi­ckelte er seinen einzig­ar­tigen Stil.

Vilhelm-Hammershoi-"Im Licht des Nordens" - Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle

Ausschnitt aus Vilhelm Hammershøi “Die großen Fenster”/1913, Öl auf Lein­wand (Ausstel­lung in der Hamburger Kunst­halle: Im Licht des Nordens)

Ausstel­lungs­tipp:

Nachdem  neun Bilder Vilhelm Hammers­høis, acht Inte­ri­eurs und eine Land­schaft, aus der Samm­lung des Museums Ordrup­gaard in Char­lot­ten­lund nahe Kopen­hagen im Rahmen der Ausstel­lung “Im Licht des Nordens” in der Hamburger Kunsthalle zu sehen waren, ist die Ausstel­lung nun weiter nach Göte­borg gezogen.  Gemeinsam mit einigen Meis­ter­werken der däni­schen Malerei des 19. und begin­nenden 20. Jahr­hun­derts erzählen die Bilder vom Aufbruch der däni­schen Kunst  in die Moderne. 

Ein Besuch der Ausstel­lung ist  eine wunder­bare Gele­gen­heit, einige der sinn­lich mini­ma­lis­ti­schen Bilder Hammers­høis im Original zu betrachten und sich selbst einen Eindruck von der Wirkung und Ausstrah­lung der Bilder des Dänen zu verschaffen.

Vilhelm Hammershøi – Licht und Atmosphäre

Hammers­høis Bilder  fesseln mich durch ihre dezente Farb­ge­bung und einen harmo­ni­schen Dialog von Hell und Dunkel. In manche Inte­ri­eurs, die zumeist in seinen eigenen Wohn­räumen entstanden sind,  tauchen gele­gent­lich Figuren auf. Häufig seine Frau Ida. Jedoch stehen nicht sie oder ihre Hand­lung im Mittel­punkt, viel­mehr scheint es um die Archi­tektur des Bildes zu gehen.

Mal liegt der Fokus im vorderen Teil des Bildes, mal in der Tiefe – als spielte Hammershøi wie ein Foto­graf mit Schärfen und Unschärfen im Bild. Für Räume hatte er ein beson­deres Auge, wobei die Möblie­rung nur ein Rand­aspekt ist.

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Ausschnitt aus Vilhelm Hammers­høis “Inte­rieur mit sitzender Frau” um 1910, Öl auf Lein­wand (Ausstel­lung in der Hamburger Kunst­halle: Im Licht des Nordens)

Es wirkt als wandelte der Künstler mit foto­gra­fi­schem Blick durch sein Haus und hielt, ob der Ästhetik des Moments, kleine Szene­rien fest, eben wie ein Foto­graf. Das natür­liche Licht schien sein Verbündeter.
Manchmal ist das Einfache, das Unspek­ta­ku­läre das Beson­dere. Eine Frau steht am Fenster. Eine Frau sitzt am Tisch, vertieft in eine unde­fi­nierte Tätig­keit. Oft sind die Frauen von hinten zu sehen. Das Licht fällt auf die Nacken­partie. Die Atmo­sphäre ist von inten­siver Sinn­lich­keit und Ruhe, fast gerät man ins Flüs­tern, damit man nichts stört…

Vilhelm Hammershøi – Interieur mit Klavier und Frau in Schwarz/Foto: Anders Tune Berg

Inte­rieur mit Klavier und Frau in Schwarz (Strand­gade 30), 1901 Öl auf Lein­wand, 63 × 52,5 cm © Ordrup­gaard, Kopen­hagen Foto: Anders Sune Berg

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Ausschnitt aus Vilhelm Hammers­høis “Die vier Räume (Strand­gaade 25), 1914, Öl auf Lein­wand (Ausstel­lung Hamburger Kunst­halle: Im Licht des Nordens)

Mit foto­gra­fi­schem Blick

Die Menschen auf Hammers­høis Bildern posieren nicht bewusst, sie erzählen keine Geschichte, eher wirkt es wie eine Moment­auf­nahme, die der Künstler als Schnapp­schuss fest­hält. Ein Ist-Zustand, den Hammershøi jedoch nicht  mit dem Foto­ap­parat (mit dem man damals ja auch noch sehr lange Belich­tungs­zeiten hatte), sondern in aufwen­diger Technik (in Öl) auf die Lein­wand bringt.
Die Tona­lität der Bilder, die farb­liche Darstel­lung der kontrast­rei­chen Flächen,  die Abbil­dung von Licht und Perspek­tive, die Weich­heit der Linien und die Kompo­si­tion – all das erin­nert an Foto­gra­fien, die Mitte bis Ende des 19. Jahr­hun­derts entstanden sind.

Den Aspekt, dass die Foto­grafie seiner­zeit als neues, aufre­gendes Medium die bildende Kunst des 19. Jahr­hun­derts beein­flußt hat, finde ich sehr span­nend (hierzu lässt sich einiges in der Mono­grafie “Hammershøi und Europa”, siehe Empfeh­lungen unten) nachlesen.

Schaut man sich aktu­elle Inte­ri­eur­bilder und ‑Inspi­ra­tionen an, sieht man oft ähnliche Perspek­tiven, Bild­kom­po­si­tionen, manchmal mit der Rück­an­sicht von Figuren. Keiner weiß, wer diese Menschen sind…aber das ist auch nicht nötig, sie berei­chern den Bild­aufbau durch ihre Anwe­sen­heit, eine beson­dere Atmo­sphäre wird verbreitet – so wie bei Hammershøi im vorletzten Jahrhundert..

Ein junges nähendes Mädchen, 1887 Öl auf Lein­wand, 37 x 35 cm Ordrup­gaard, Kopen­hagen © Foto: Anders Sune Berg

Schön vertieft…

In meinen Augen hat auch das Bild “Nähendes Mädchen (Die Schwester des Künst­lers, siehe oben)”, 1887,  welches eben­falls in der Hamburger Kunst­halle im Original zu sehen ist, beson­dere Aufmerk­sam­keit verdient. Die Anmut der jungen Frau beim Ausüben einer vermeint­lich alltäg­li­chen Arbeit ist ergrei­fend. Was der Betrachter fühlt und denkt, ist ihm über­lassen. Das Mädchen ist vertieft… Der Hell-Dunkel-Kontrast scheint durch die Weich­heit der Linien aufge­hoben. Hammers­høis Bilder sind sehr redu­ziert und dadurch ermög­licht er dem Betrachter und dessen Seelen­leben  diese Kunst zu vollenden.
Es hat mich sehr gefreut, dieses Bild im Original zu sehen, und nicht umsonst ist es zum Plakat­motiv der Ausstel­lung gewählt geworden.

Jeder Mensch, jedes Auge nimmt Unter­schied­li­ches wahr, meines ist erfüllt und bezau­bert vom Licht und der Atmo­sphäre der Bilder Vilhelm Hammershøis.

Sind Sie neugierig geworden und möchten mehr über Vilhelm Hammershøi, seine Kunst, seine Inten­tionen und den Aufbruch der däni­schen Maler des 19. Jahr­hun­derts in die Moderne erfahren?

Empfeh­lungen:

Ausstel­lung:

Vilhelm Hammershøi – Austellung in der Hamburger Kunsthalle 2019

Im Licht des Nordens” – Däni­sche Malerei der Samm­lung Ordrup­gaard, noch bis zum 22. September 2019  in der Hamburger Kunsthalle

Diese Ausstel­lung ist nun leider vorbei aber wer auf Reisen in der schwe­di­schen Stadt Göte­borg vorbei­kommt, kann sich dort die wunder­bare Ausstel­lung und die Bilder Hammers­høis  vom 12. Oktober 2019 bis zum 22. März 2020 im Original im Gothen­burg Museum of Art  ansehen.

Neben den Werken Hammers­høis sind noch weitere wunder­schöne Male­reien däni­scher Künstler zu betrachten. Szenen des däni­schen Land­le­bens, Szenen aus dem realen Leben sind Sujets der Malerei.
So haben mich Johannes Larsens “Schel­lenten in einem Eisloch”/1899 ob ihrer Klar­heit ebenso faszi­niert wie sein Werk “Sommer, Sonne, Wind”/1848, das das nordi­sche Licht auf so wunder­bare Weise einfängt. Peter Hansens “Heumahd auf Südfünen”/1902 sprüht vor Leich­tig­keit und sommer­li­cher Frische.
Gefangen hielt mich Vilhelm Kyhns “Land­schaft bei Silkeborg”/ 1848. Es mag wohl an der beson­deren Farbig­keit und Ruhe dieses Bildes liegen.

Kahn: Landschaft bei Silkeborg

Vilhelm Kyhn “Land­schaft bei Silke­borg”, 1848, Öl auf Papier, 31 × 41,5 cm © Ordrup­gaard, Kopen­hagen Foto: Anders Sune Berg

Hansen Heuernte Suedliches-Fuenen

Heuernte auf Südfünen, 1902 Öl auf Lein­wand, 48 x 73 cm Ordrup­gaard, Kopen­hagen © Foto: Anders Sune Berg

Bücher:

Vilhelm Hammershøi – Ausstellungskatalog 2019, Kunsthalle Hamburg "Im Licht des Nordens"

Den Katalog zur Ausstel­lung  in der Hamburger Kunst­halle  mit Einzel­kom­men­taren zu sämt­li­chen Expo­naten kann man in gebun­dener Form, als wunder­schönes Buch, im Online­shop der Hamburger Kunst­halle oder beim Wienand Verlag bestellen.
(Heraus­ge­geben von Markus Bertsch;
Beiträge von Anne-Birgitte Fons­mark, Felix Krämer, Marie-Louise Monrad Møller, Carl-Johan Olsson, Nelly Struck, 160 Seiten, mit 70 farbigen und 5 s/w Abb.)

Vilhelm Hammershøi-Buchempfehlung: Hammershøi und Europa

Hammershøi und Europa”, eine umfas­sende Mono­grafie, heraus­ge­geben vom Statens Museum for Kunst in Kopen­hagen und der Kunst­halle München;.Paperback, 256 Seiten, 92 farbige Abbil­dungen; Prestel Verlag

 

 

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