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Zu Besuch bei Künst­lerin Janina Musialczyk

Zu Besuch bei Künstlerin Janina Musiialczyk – Zeichnungen und Malerei

Zeichnen ist wie Schreiben. Jeder hat seine ganz persön­liche Hand­schrift, seinen Strich, und die Kunst ist es, sich diese beson­dere Eigenart zu bewahren”, erklärt mir Künst­lerin Janina Musi­al­czyk. Ich habe die gebür­tige Polin in ihrer Wohnung im Hamburger Norden besucht.

Ich finde es faszi­nie­rend, Menschen kennen­zu­lernen, deren Herz für etwas brennt, die eine unstill­bare Leiden­schaft für ihr Hand­werk und für krea­tives Schaffen haben. Krea­ti­vität hat etwas mit Gefühlen zu tun. Und Gefühle und Empa­thie unter­scheiden uns von künst­li­cher Intel­li­genz, von Maschinen. Diese Mensch­lich­keit zu bewahren und zu schützen ist so wichtig. Menschen, die die Kunst zu einem Teil ihres Lebens machen, sind meis­tens nicht von kommer­zi­ellen Aspekten getrieben, viel­mehr von einem inneren Drang, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Diese unter­schied­li­chen Formen des Ausdrucks sind es doch, die die Kunst so span­nend machen.

Zu Besuch bei Künstlerin Janina Musiialczyk – Zeichnungen und Malerei

Ein Leben für die Kunst

Seit 38 Jahren lebt Janina Musi­al­czyk in Hamburg, nachdem sie als junge Frau mit Mann, Tochter und zwei Koffern 1981, kurz vor Einfüh­rung des Kriegs­rechtes in Polen, über Schweden nach Deutsch­land ausge­reist ist. Gespannt lausche ich ihrer bewegten Geschichte.

Geboren ist Janina Musi­al­czyk kurz vor Kriegs­ende, 1943 in der polni­schen Stadt Kraśnik. Ihre Kind­heit war von Krieg und Nach­kriegs­zeit geprägt. Früh hat sie entdeckt, dass Malen und Zeichnen eine Form des Ausdrucks für sie sind. Später studierte sie an der Hoch­schule für Bildende Künste in Łódź (heute: Akademia Sztuk Pięknych w Łodzi im. Władysława Strze­mińs­kiego) und erhielt 1967 ihr Diplom. Zahl­reiche Ausstel­lungen in Polen, in der Schweiz und in Deutsch­land folgten.

Zu Besuch bei Künstlerin Janina Musiialczyk – Zeichnungen und Malerei

Unter­wegs 17’, aus der Serie: Kommen, werden, gehen; 1993

ZUHAUSE – ein Begriff mit großem Gewicht

Haupt­thema ihrer Bilder ist die Suche, die Sehn­sucht nach ZUHAUSE, dem Haus, der Bleibe, der Identität.
ZUHAUSE, Raum haben, Gebor­gen­heit fühlen und Sicher­heit. Was genau ist das? Wo ist es? Ist es ein Ort, sind es Menschen, ist es ein Gefühl?
Ein span­nendes und wieder sehr bedeut­sames Thema, wie ich finde, jetzt in Zeiten, in denen die Themen ‘Flucht’ und ‘Heimat­ver­lust’ leider sehr aktuell sind.
Und auch ange­sichts der rasanten Entwick­lungen unserer Zeit fragen sich viele, wie sie trotz stetiger Bewe­gung Halt finden können, wo ihr Platz ist, wer sie eigent­lich sind.
Zwar versu­chen wir unsere “vier Wände” schön zu gestalten. Jeder auf seine Art. Aber reicht das aus, um dieses tiefe Gefühl des RICHTIGEN ORTES zu haben? Und wie fragil ist dieses Gefühl? Eines ist klar: Kein Navi­ga­ti­ons­system kennt den Weg dorthin.

Ohne Titel, aus der Serie: Miet­räume; 2012

Lebens­li­nien

Über 1000 Werke lagern im Archiv der Künst­lerin, in denen sie die Suche, die Bezie­hung von Menschen zu “Häusern”, von Menschen zu Menschen und die Ausein­an­der­set­zung und Suche nach der eigenen Persön­lich­keit thematisiert.
Beim Betrachten der Zeich­nungen kann ich fast hören, wie die Feder über das Papier saust. Die schwarzen Pigmente sind zum Ausdruck starker Gefühle geworden. Die Zeich­nung ist eine impul­sive, sehr direkte Ausdrucks­form, bei der die Künst­lerin ihr inneres Befinden, ihre Gedanken und Emotionen, aber auch Eindrücke, die sie von der Außen­welt empfängt, schnell auf das Blatt bringen kann. Jede gezeich­nete Linie prägt das Ergebnis.
Ich denke an ein Zitat von Paul Klee:

Die Linie ist ein Punkt, der spazieren geht.”

Aber hier scheint er nicht nur zu spazieren, viel­mehr scheint er zu hasten, tempe­ra­ment­voll zu eilen, um sich rasch auf seinem Weg in Bilder zu verwan­deln. “Mein Strich mag schnell und impulsiv sein, aber ich zeichne nicht zerstreut, sondern konzen­triert, in einem Zustand der Samm­lung. Meine Bilder bringen die Flüch­tig­keit der uns umge­benden Welt in gewisser Weise zum Stehen, heben einzelne Momente aus ihr heraus, die auf diese Weise an Bestand und Bedeu­tung gewinnen”, beschreibt es Janina Musialczyk.

Zu Besuch bei Künstlerin Janina Musiialczyk – Zeichnungen und Malerei

Begeg­nung 1’, aus der Serie: Kommen, werden, gehen; 1993

In manchen Bildern schafft Janina Musi­al­czyk eine irri­tie­rende Melan­cholie, andere sind auf eine trau­rige Art poetisch, zuweilen bedrü­ckend. Es ist die Ironie des Schick­sals: gut und böse, traurig und glück­lich, verloren und aufge­hoben liegen manchmal so dicht beieinander.
Manche Figuren scheinen etwas zu suchen, das sie doch nicht finden können. Anstelle von Füßen, die einen sicheren Stand gewähren, haben einige Figuren Räder. Hände, die hand­lungs­fähig machen fehlen zumeist…  Immer in Bewe­gung und doch am Ende nur ein Schatten in dem, was bleibt.
Musi­al­c­zyks Bilder geben Rätsel auf. Ein drama­ti­sches Hell-Dunkel, die Span­nung von Figuren zueinander.

Zu Besuch bei Künstlerin Janina Musiialczyk – Zeichnungen und Malerei

Zirkus’, aus der Serie: Es taumelt; 1996

Zu Besuch bei Künstlerin Janina Musiialczyk – Zeichnungen und Malerei

Weißes Haus’, aus der Serie: Stufen; 2009

Zu Besuch bei Künstlerin Janina Musiialczyk – Zeichnungen und Malerei

Montag, 2. Dezember 2002’, aus der Serie: Episoden; 2002

Was verbinden Sie mit einem rich­tigen Zuhause?”, möchte ich wissen. “Sicher­heit. Unab­hän­gig­keit. Zuhause kann man sein wie man ist. Man hat Raum für sich und Ruhe vor den Unruhen der Welt”, antwortet sie. “Die Suche nach diesem ‘Ort’ ist jedoch oft eine Belas­tung und ein mühsamer Weg.

Zu Besuch bei Künstlerin Janina Musiialczyk – Zeichnungen und Malerei

Auf Rädern’, aus der Serie: Begeg­nungen unter­wegs; 1995

Sie erzählt: “In den schweren Phasen meines Lebens arbeite ich beson­ders viel. Es ist wie ein Rausch, nach einer gewissen Zeit bin ich ganz versunken. Alles, Sorgen, Probleme rücken in den Hinter­grund.” Die Kunst als Lebenselixier?

Zu Besuch bei Künstlerin Janina Musiialczyk – Zeichnungen und Malerei

Zu Besuch bei Künstlerin Janina Musiialczyk – Zeichnungen und Malerei

Am Schrank lehnend: ‘Unter­wegs’, aus der Serie: Begeg­nungen unter­wegs; 1996

Sowohl in ihrer Zeit in Polen, wo sie von 1967 – 1981 eine Atelier­gruppe für Bildende Künste leitete, als auch später in ihrer Schule für Zeich­nung, Malerei und Kompo­si­tion in Hamburg widmete sie sich mit Leiden­schaft der Arbeit mit begabten Kindern, Jugend­li­chen und Erwachsenen.

Zu Besuch bei Künstlerin Janina Musiialczyk – Zeichnungen und MalereiWas haben Sie ihren Schü­lern geraten?”, inter­es­siert mich. “Gute Sachen entstehen nur, wenn man Fehler macht, auspro­biert, über Grenzen geht und wage­mutig ist”, erklärt sie. “Oft schmeißt man einiges weg, bis etwas wirk­lich Gutes entstanden ist.” Unzäh­lige Schüler hat die Künst­lerin inspi­riert. Während sie erzählt, kann ich mir das gut vorstellen. Spätere renom­mierte Künstler, Gestalter, Archi­tekten, Restau­ra­toren – sie hat es geschafft, in ihnen ein krea­tives Feuer zu wecken, sie zu beflügeln.

werde dich nehmen bei der hand
mit dir gehen in die welt
dir zeigen einen stein
darauf einen tropfen wasser
werde dir zeigen einen grashalm
darauf eine kleine ameise
dir zeigen kleines
kleines
noch klei­neres
und es wird wichtig
und es wird groß

Janina Musi­al­czyk,  12. januar 2013

Aus: Janina Musi­al­czyk, Unter­wegs, drei Hefte. Hamburg 2015

Genaues Betrachten und ausgie­biges Beob­achten ist eine Grund­vor­aus­set­zung fürs Zeichnen und Malen. Das Auge muss das genaue Sehen lernen”, erklärt Janina Musi­al­czyk. “Je mehr man entdeckt und aufspürt, desto inter­es­santer wird die Welt.
Manchmal muss man dem Auge Zeit geben, Schön­heit entstehen zu lassen. Viel­leicht sollten wir uns mehr Zeit nehmen, die Dinge um uns herum wirk­lich zu sehen und in uns aufzunehmen?

Zu Besuch bei Künstlerin Janina Musiialczyk – Zeichnungen und Malerei

Feder­tanz’, aus der Serie: Mit dem Wind; 2001

Zu Besuch bei Künstlerin Janina Musiialczyk – Zeichnungen und Malerei

links: ‘Zu zweit’, aus der Serie: Geister und Häuser; 2015 und rechts: ‘Geschwister’, aus der Serie: Geister und Häuser; 2013

Janina Musi­al­czyk zeigt mir ihre neusten Arbeiten. Eine neue Technik, die Feder­zeich­nung mit Acryl verbindet. “Es ist ein wunder­bares, großes Gefühl, wenn man etwas Neues geschaffen hat. Als Künstler möchte man einzig­artig sein”, so Musi­al­czyk. Sie expe­ri­men­tiert mit Mate­ria­lien, Farben, zerlegt Arbeiten, um sie zu Neuem werden zu lassen. Sie stem­pelt, schreibt und foto­gra­fiert. Ihr Antrieb: ihr unbän­diger schöp­fe­ri­scher Drang und… “Liebe und Freund­lich­keit. Ohne Liebe könnte ich nicht sein”, verrät mir die Künst­lerin. Auch in der Liebe können wir uns zuhause fühlen!

Stem­pel­bilder
Zu Besuch bei Künstlerin Janina Musiialczyk – Zeichnungen und Malerei

Im Aufzug’, aus der Serie: Fort­gang; 2017

Die Betrach­tung von Kunst ist eine schöne Gele­gen­heit, das Auge und den Kopf vom sonst so schnellen Bild­wechsel und der Reiz­über­flu­tung zu entspannen. Noch genauer hinzu­schauen, zu denken und zu fühlen. Was wir als Betrachter in der Kunst sehen und entde­cken, hat viel mit unserem eigenen Lebens­mo­ment zu tun, unsere Gedanken und Gefühle vervoll­stän­digen die Arbeit der Künstler. Kunst, auch das ist mir beim Besuch der Künst­lerin klar geworden, hat sehr viel mit dem Erhalt unserer Iden­tität und unserer Kultur zu tun.
Denn Kunst, ihre Aussage und das, wofür sie steht, über­dauert uns, wird weiter­ge­geben und ist somit etwas zutiefst Nachhaltiges.

Die Betrachtung von Kunst, ist eine schöne Gelegenheit, das Auge und den Kopf vom sonst so schnellen Bildwechsel und der Reizüberflutung zu entspannen. Noch genauer hinzuschauen, zu denken und zu fühlen. Was wir als Betrachter in der Kunst sehen und entdecken, hat viel mit unserem eigenen Lebensmoment zu tun, unsere Gedanken und Gefühle vervollständigen die Arbeit der Künstler. Kunst, auch das ist mir beim Besuch der Künstlerin klar geworden, hat sehr viel mit dem Erhalt unserer Identität und unserer Kultur zu tun. Denn Kunst, ihre Aussage und das wofür sie steht überdauert uns, wird weitergegeben und ist somit etwas zutiefst Nachhaltiges und Singstiftendes .

Kontakt: http://janinainkamusialczyk.de

Weitere Infor­ma­tionen über die Künst­lerin finden Sie hier.

Aktu­elle Ausstellung:

Vom 20. September 2020 bis zum 31. März 2021 ist die  Ausstel­lung “meins deins keins” von Janina Musi­al­czyk im PAN Kunst­forum Nieder­rhein zu sehen.

Zeich­nung, Malerei, Buch. Die Ausstel­lung zeigt ausge­wählte Werke aus drei Jahrzehnten.

Agne­ten­straße 2
46446 Emme­rich am Rhein
www.pan-forum.de

 

Alle Rechte an den Fotos der Bilder und Zeich­nungen liegen bei der Künstlerin.

Foto­gra­fien: Larissa Wasserziehr

 

 

6 Kommentare

    • Larissa sagt

      Es freut mich sehr, wenn der Beitrag berührt…Vielen Dank! Larissa Wasserziehr

    • Larissa sagt

      Liebe Frau Düll­berg, ich freue mich, dass Ihnen die Bilder von Janina Musi­al­czyk so gefallen. Ich finde sie auch immer wieder aufs Neue sehr berüh­rend und faszi­nie­rend. Die Ausstel­lung “meins deins keins” von Janina Musi­al­czyk im ‘Pan Kunst­forum Nieder­rhein’ ist übri­gens voraus­sicht­lich auf September 2020 verschoben. Herz­liche Grüße! Larissa Wasserziehr

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