Immer nur nach vorne blicken? Das kommt für mich nicht in Frage. Tradition und Geschichte sind das Fundament, auf dem neue Ideen wachsen. Ein Blick zurück kann sehr inspirierend sein. Und deshalb möchte ich von einem Besuch in einer Hamburger Druckerei erzählen:
Schwarze Kunst
“Schwarzkünstler”, “Jünger der Schwarzen Kunst” oder “Jünger Gutenbergs” – so nannte man einst die Buchdrucker und Schriftsetzer, deren kunstvolles Handwerk es war, mit schwarzer Druckfarbe Texte und Bilder zu vervielfältigen. Im 15. Jahrhundert eine revolutionäre Erfindung von Johannes Gutenberg, die die demokratische Verbreitung von Informationen ermöglichte. Für unsere Kultur eine der wohl bedeutendsten Erfindungen.
Heute, 550 Jahre nach dem Tode Johannes Gutenbergs, im Zeitalter der Digitalisierung, gibt es sicherlich fortschrittlichere und einfachere Print-Methoden. Das mag stimmen. Dennoch sind die Drucksachen, die mit historischen Drucktiegeln entstehen, so besonders und einzigartig in Optik und Haptik, dass sie sich wieder größter Beliebtheit erfreuen.
“Man ist jung, solange man sich für das Schöne begeistern kann und nicht zulässt, dass es vom Nützlichen erdrückt wird.” Jean Paul
Ich habe das selber erlebt. Auf der Suche nach einer geeigneten Druckerei und einem individuellen Stil für meine Visitenkarten, stieß ich auf die “Letterpress-Manufaktur Hamburg”. Gelegen auf einem historischen Industriegelände, auf dem in den 20er Jahren Radioröhren produziert wurden, in Hamburg-Langenhorn.
Das Besondere an dieser Druckerei:
Die “Letterpress-Manufaktur Hamburg” arbeitet mit historischen Druckmaschinen und produziert mit Letterpress und besonderen Prägedrucken einzigartige und sehr individuelle Drucksachen. Visitenkarten, Einladungen und vieles mehr. Das Besondere daran ist das reliefartige Druckbild. Diese wunderbare Struktur lässt sich mit modernem Offset-Druck gar nicht erreichen.
Ein Blick in die Werkstatt:
Ich darf dem gelernten Buchdrucker Dieter Haeger bei der Arbeit über die Schulter schauen. Routiniert bedient er den alten schwarzen Drucktiegel – so nennt man die Druckmaschine. 1962 begann er die Lehre zum Buchdrucker, nachdem er schon als Kind fasziniert den kleinen Druckereibetrieb in der Nachbarschaft beobachtet hatte. Da bereits wurde eine Leidenschaft für das Handwerk geweckt, das er bis heute – obwohl er eigentlich schon sechs Jahre in Rente ist – noch gerne ausübt.
Die Maschine schnurrt unter seiner Leitung. Ein rhythmischer Klang. Der gute alte Heidelberger Tiegel aus den 60er Jahren greift sich eine Visitenkarte nach der nächsten und prägt mit einem eigens dafür angefertigten Messingstempel ein Motiv in das kräftige Papier. “Hierbei wird mit etwas mehr Druck gearbeitet als beim klassischen Buchdruck, damit die reliefartige Optik entsteht.” , erklärt mir der Fachmann. Der Maschine bei der Arbeit zuzusehen, hat etwas Meditatives.
Liebevoll und fachmännisch hält Dieter Haeger eine der Karten ins Licht – ist der Druck richtig eingestellt?
Der Tiegel arbeitet weiter fleißig vor sich hin, das Schwungrad dreht sich. 2000 Karten pro Stunde, das ist das langsame Tempo. Wenn es ernst wird, schafft die Druckmaschine 5500 Karten pro Stunde – Höchstgeschwindigkeit! “Diese Maschinen sind unverwüstlich, ab und zu mal ein bißchen Öl und sie laufen.”, schwärmt der erfahrene Buchdrucker. Kein Error, keine Systemfehler – wie angenehm!
Dieter Haeger und sein junger Kollege Renée Roisch erklären mir, was alles möglich ist mit diesen alten Maschinen: Prägungen, Farbdrucke, Heißfolienprägung mit metallischen Effekten, ja sogar Duftdrucke, bei denen die Karten bei Berührung ein Duftaroma verströmen (da kommen wir dann aber schnell ins Luxussegment…).
Ich bin nicht die Einzige, die diese traditionelle Arbeitsweise interessiert. Auf der Suche nach Individualität und Einzigartigkeit rückt dieses alte Handwerk wieder mehr in den Fokus.
In der oberen Etage der Manufaktur stehen noch ein paar Relikte aus der guten alten Zeit: unter anderem eine historische Tiegelpresse, Baujahr ca. 1880, F.M. Weiler New York. Mein Kopfkino springt an – was diese Maschine wohl schon alles erlebt hat?
Natürlich kann das Team der “Letterpress Manufaktur” auch mit modernster Technik arbeiten – aber die Begeisterung, wenn es um die alten Maschinen und Methoden geht, spürt man einfach. Es ist eben möglich, das Bewährte zu pflegen und doch neugierig und offen für Entwicklungen zu sein. Diese Mischung lässt oft die spannendsten Ergebnisse entstehen.
Alles, was hier entsteht, strahlt etwas Besonderes, ja Einzigartiges aus. Wie schön!
Übrigens:
Druckereien, die noch mit historischen Maschinen arbeiten, gibt es deutschlandweit. Mit der Eingabe “Letterpress” findet man online eine Druckerei in seiner Nähe.
Immaterielles Kulturerbe
Seit März 2018 sind die künstlerischen Drucktechniken in das Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der Deutschen UNESCO-Kommission aufgenommen worden.
Wer Lust und Interesse hat, mehr über diese alten Drucktechniken zu erfahren, kann dies im Gutenberg-Museum in Mainz oder im Museum für Druckkunst in Leipzig tun. Das Tolle an dem Museum in Leipzig: die rund 100 funktionierenden Maschinen stehen nicht still, sondern führen die Arbeitsprozesse praktisch vor. Schriftgießer, Schriftsetzer und Buchdrucker weihen Besucher in die Geheimnisse der “Schwarzen Kunst” ein.
In Workshops (für Erwachsene und/oder Kinder) können eigene Motive als Radierung oder Lithografie hergestellt oder kleine, aus Lettern gesetzte Texte gedruckt werden.
Ein interessanter Einblick in dieses alte, kreative Handwerk!
Schöner und begeisternder Artikel, vielen Dank dafür 💖 Vielleicht interessiert Dich auch dieses Projekt junger Enthusiasten der alten Handwerkskunst: https://www.druckermark.org/
Hallo Pauline, ich freue mich sehr, dass Dir der Artikel gefällt! Vielen Dank für den Link, ich habe schon geschaut – das klingt ja sehr interessant. Wie schön und wichtig, dass es junge Menschen gibt, die die alten Handwerkskünste beherrschen, zu schätzen wissen und auch weitergeben wollen. Ein tolles, kreatives Projekt! Ich bin sehr gespannt und werde es weiterverfolgen. Viele Grüße! Larissa
Es ist so schön, dass es immer noch Menschen gibt, die sich für alte Maschinen und Methoden interessieren. Über das reliefartige Druckbild wusste ich gar nicht. Jetzt träume ich von so einer Grußkarte.
Lieber Thomas, ja, das reliefartige Druckbild ist wirklich optisch aber auch haptisch besonders. Es ist schon beeindruckend, wie viele spannende Druckbilder auch mit den alten, treuen Maschinen zu fertigen sind. Es freut mich, dass es Ihnen gefällt. Ich wünsche Ihnen ein schönes Weihnachtsfest, viele Grüße! Larissa Wasserziehr
Wenn man sich den Weg nach Leipzig sparen möchte, kann man auch in das Museum der Arbeit nach Hamburg-Barmbek kommen.
Hier wird noch mit Bleisatz gesetzt und auf historischen Buchdruck-Maschinen gedruckt.
Jeden Montag von 18 bis 21 Uhr ist die Offene Werkstatt geöffnet.
Hier kann der Besucher selbst unter Anleitung setzen und drucken.
Auch an allen anderen Tagen kann ich
das Museum der Arbeit empfehlen.
(Dienstags geschlossen. )
Oh ja, vielen Dank für diesen tollen Tipp! In der Tat ist das Museum der Arbeit immer ein interessantes Ziel und die ‘Offene Druckwerkstatt’ ein spannendes Angebot. Wer, wo auch immer, die Möglichkeit hat, einmal eine historische Buchdruckmaschine bei der Arbeit zu sehen, oder gar selber zu bedienen, den wird dieses alte Handwerk vielleicht ähnlich faszinieren wie mich. Es ist ja immer auch ein Eintauchen in unsere Geschichte…