Ein großer Backsteinbau voll mit alten Schätzen, ein junger Tischler mit einem besonderen Faible und ein nachhaltiges Konzept – das ist flat six. Ich traf Inhaber Janosch Roschewitz an seinem inspirierenden Arbeitsplatz…
Es war schon immer so – mich faszinieren Orte, an denen ich planlos umherschlendern und eine Fülle von Eindrücken sammeln kann. Immer her mit allem, was mich anzuregen vermag. Orte, an denen die Fantasie beflügelt wird und sich Ideenketten bilden… Einen solchen Ort möchte ich hier vorstellen.
flat six
Janosch Roschewitz sitzt mir im Lichte einer betagten Fabrikleuchte an einem alten Holztisch gegenüber. “Eigentlich wollte ich Fischer werden”, verrät mir der Sohn eines Antiquitätenhändlers, während seine Hand über die urige Tischplatte fährt. Fischer? Ist er das nicht auch? Für mich ist er so eine Art Perlenfischer. Aus tiefsten Kellern, aus verstecktesten Lagerhallen, von kleinsten Märkten irgendwo im Nirgendwo fischt er die allerschönsten Interior-Perlen hervor. Zwar glänzen die Schätze, die er hebt, nicht perlmutten, dafür haben sie etwas mindestens genauso Wertvolles: eine einzigartige Patina, unter der sich eine Geschichte verbirgt.
flat six – klingt international…London, New York, Lissabon? Vom Stil-Faktor des Showrooms würde es passen!
Aber weit gefehlt! Stattdessen befinden wir uns in einem ehemaligem Backstein-Stallgebäude, gegenüber vom Ahrensburger Schloss, in Schleswig Holstein. Schnell wird klar: wer hier arbeitet, ist von Geschichte umgeben und findet Ruhe im rastlosen Wettlauf der Trends.
Janosch ist gelernter Tischler in zweiter Generation. In der Werkstatt seines Vaters, der sich auf die Restaurierung antiker Möbel spezialisiert hat, ist er früh auf den Geschmack gekommen. Sein Herz schlägt besonders für den Industrial Style.
Zur Zeit der Industrialisierung, beginnend in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, wurden für Fabriken und Produktionsstätten Möbel von außergewöhnlicher Robustheit und Belastbarkeit gebaut, die zuverlässig ihre Arbeit erfüllen sollten. Arbeitstische, Fabrikleuchten, Werkbänke, Kommoden, Schränke, Werkstatthocker. Die Materialien: Holz und Metall.
Design für die Ewigkeit
Längst hat man den Wert und die Schönheit dieser unverwüstlichen Möbelstücke erkannt. Obwohl der größte Hype schon wieder vorbei ist, werden sie für Kenner immer im Trend liegen – denn diese Möbel sind für die Ewigkeit konstruiert! Janosch Roschewitz hat ein gutes Auge für diese Relikte jener Zeit des wirtschaftlichen Umbruchs. Er will sie erhalten, ihnen ihren Wert zurückgeben und ein nächstes Kapitel in ihrer Geschichte schreiben. Als Esstisch, Anrichte, Esszimmerleuchte oder Geschirrschrank.
An diesem Punkt lohnt sich eine kurze gedankliche Zeitreise – diese alten Möbel und Lampen, Accessoires und Bilder waren auch mal jung, innovativ, vielleicht sogar revolutionär. Mancher Zeitgenosse mag damals ratlos den Kopf geschüttelt haben. Betrachtet man heute dieses solide Mobiliar, hört man förmlich das Rattern der damals neu erfundenen Maschinen, das Klopfen, das Hämmern und spürt das raue Fabrikflair. Ich finde das sehr spannend!
Lust an Lebenslinien
“Am liebsten stöbere ich mittlerweile auf Märkten in Slowenien oder Rumänien”, erzählt Janosch Roschewitz. “Dort findet man noch echte Schätze.” Er zeigt mir einen Arbeitstisch, dessen Platte mit Metall überspannt ist. Ein Star seiner Sammlung! Einschläge, Kerben und Kratzer lassen erahnen, dass der Tisch schon Grundlage für jahrelanges Arbeiten war.“Der Tisch war auf dem Markt kaum zu erkennen”, berichtet Janosch. “Das Metall war pechschwarz. In der Werkstatt haben wir ihn bearbeitet und nun ist er ein echtes Highlight.” Eines der Stücke, von denen man sich nur schwer trennt, authentisch und begeisternd.
Neugierig streife ich weiter durch die über 1500 Quadratmeter große Ausstellung. Neben den derben Industrieobjekten machen Antiquitäten und Vintageobjekte anderer Epochen sowie Gemälde die Ausstellung lebendig. Für diese Antiquitäten ist überwiegend Janoschs Vater Carsten Brundert zuständig, der gleich nebenan ebenfalls ein reich gefülltes Lager hat. Vor knapp 10 Jahren hat Janosch seine Ausbildung zum Tischler in Freiburg beendet. Dann ist er in das Geschäft seines Vaters mit eingestiegen. Vater und Sohn ergänzen sich hervorragend, finde ich. Es ergibt sich eine eklektische Mischung aus Mobiliar, Dekoration und Kunst.
Blick in die Werkstatt
In der Werkstatt ist eine schwere Tischplatte aufgebockt. “Die massiven, derben Eichenbohlen stammen von Bergwerk-Waggons”, verrät der Tischler. “Wir bauen daraus einen Konferenztisch für ein Berliner Büro.” Die Tischbeine: schwere Eisengussgestelle, ehemals Maschinengestelle. Ein einzigartiges Objekt von enormem Gewicht.
Einem anderen schweren Eisengussgestell hat Janosch mit einer Glasplatte eine neue Ästhetik geschenkt.
Ein überzeugender Nebenaspekt bei der Verarbeitung von Althölzern ist natürlich die Nachhaltigkeit. “Holz ist ein so vielseitiges, langlebiges Material. Die verschiedenen Oberflächen, die Spuren der Zeit… es ist inspirierend mit Holz zu arbeiten”, schwärmt Janosch Roschewitz, “und für meine Tische muß kein Baum gefällt werden.”
Aber auch alte Fabrikleuchten haben es dem Tischler angetan, egal ob aus alten Industrieanlagen, Militärstützpunkten oder Krankenhäusern. In seiner Werkstatt arbeitet er sie mit Liebe zum Detail auf, ohne ihnen die authentische Ausstrahlung zu nehmen.
Privatwohnungen, Restaurants, Boutiquen oder Büros – seine Vintage-Leuchten verleihen jedem Ambiente einen zeitlos modernen und sehr individuellen Look.
Puzzleteile zu einem individuellen Interieur
Mich beeindruckt die Geduld, der gute Blick für besondere Dinge, die Übersetzung des traditionellen Handwerks in unsere Zeit und die Liebe zu Objekten mit Geschichte. “Natürlich verfolge ich die aktuellen Trends”, so der Inhaber von flat six, “aber letztlich verlasse ich mich auf mein Bauchgefühl. Mag ich ein Stück persönlich nicht, lasse ich die Finger davon.”
Gibt es Möbelstücke, von denen er sich ungern trennen würde? “Oh ja, ich habe zu Hause eine tolle Scherenlampe und als Geschirrschrank einen Metallspind aus Rumänien – beides Teile, die ich nicht wieder hergeben möchte.”
Wie behauptet man sich an einem Markt, der von billigen Nachbildungen überschwemmt ist? “Ich bediene die Sehnsucht nach Unikaten”, so die Antwort von Janosch Roschewitz. “Es wird einfach nie langweilig, immer wieder kommen andere Möbel oder Leuchten in unsere Ausstellung.” Dank seiner Spürnase und einem guten Händlernetzwerk stößt er regelmäßig auf Möbel und Leuchten mit einem ganz eigenen, unverwechselbaren Charme.
Ich finde, Janosch Roschewitz’ flat six ist ein gutes Beispiel dafür, wie alternative Möbelproduktion und Werteerhalt aussehen können.
Kontakt: www.flatsix.hamburg
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