“Wer beim Einrichten seines Zuhauses auf sein Bauchgefühl hört, den begleitet das Interieur ein ganzes Leben. Wer nur den Trends folgt, den ermüdet irgendwann, was er hat.”
Rossana Orlandi (Designgaleristin aus Mailand)
Sind Sie schon einmal in eine Wohnung gekommen und haben sich gewundert, wie sehr die Einrichtung die Persönlichkeit der Bewohner widerspiegelt? Gegenstände und Dekorationen – mit Leidenschaft zusammengetragen – die auf ganz wundervolle Art und Weise den Charakter des Arrangeurs verkörpern?
Es ist wie ein Eintauchen in eine andere, sehr persönliche Welt. Für mich immer wieder eine spannende und inspirierende Erfahrung. In der Einrichtung kann man oft sehr viel lesen über den Geschmack, die Interessen, Erfahrungen, über den Humor und die Träume der Bewohner. Ein Zuhause, das sich über einen langen Zeitraum entwickelt hat, liebenswert, unperfekt an manchen Stellen, vollkommen an anderen.

Bereits im Flur wird die Neugier geweckt…
Globalisierung, moderne Massenproduktion und günstigere Preise haben Design demokratisch gemacht. Schön einerseits, die traurige Seite aber ist, dass diese Tatsache mehr und mehr zu einer Vereinheitlichung, einem kollektiven Massengeschmack führt. Inneneinrichtungen werden zunehmend “austauschbar”. Es entwickeln sich weniger einzigartige Stile, regionale Eigenarten verschwinden, persönliche, kreative Schöpfungen bleiben oft aus. Und – was ich sehr bedaure – heutzutage ist es billiger, etwas zu ersetzen, als es zu reparieren (siehe hierzu auch: Wenn Keramiknarben zu Goldspuren werden).

Die Werkstücke eines Kindes – wie selbstverständlich neben einer Büste des griechischen Dichters Homer
Dabei ist es so inspirierend und spannend, wenn Menschen ihren eigen Stil kultivieren. Es ist wunderbar, die kleinen Unterschiede zu zelebrieren, eine eigene visuelle Sprache zu finden und damit einen authentischen, ehrlichen und nachhaltigen Stil.
Meine Fotos sind in der Wohnung einer Familie entstanden, die zwar unerkannt bleiben möchte, deren Wohnräume ich allerdings fotografieren durfte. Das Interieur ist für mich ein Beispiel für einen ganz eigenen, im besten Sinne unzeitgemäßen Stil. Mit Selbstbewusstsein arrangierte Erbstücke, Fundstücke, Vintage-Objekte, Kunst – Dinge, die von Traditionen und Geschichte erzählen. Objekte, die gebraucht wurden und gebraucht werden, Objekte mit einer unnachahmlichen Patina.

Das Wohnzimmer: An der Wand der Teil einer Wandvertäfelung aus dem Art Deco. Die Sitzgruppe stammt aus den frühen 50er Jahren, der Schachtisch aus dem Berlin der 40er Jahre. Ölbilder aus dem 18. Jahrhundert hängen neben Werken aus der Mitte des 19. und der Mitte des 20. Jahrhunderts
An dieser Stelle möchte ich aus einem Buch zitieren, dass mir vor einiger Zeit in die Hände fiel:
“Wir leben inmitten alter Möbel, deren Geschichtlichkeit sich nicht daraus ergibt, dass sie alt in einem abstrakten Sinne sind, irgendeinem historischen Stil gehorchen oder irgendwie verschnörkelt daherkommen, sondern daraus, dass sie über einen langen oder sehr langen Zeitraum hinweg in Gebrauch gewesen sind.… Wir wertschätzen sie, indem wir sie weiterhin gebrauchen und zu ihrer Geschichtlichkeit beitragen.”
(aus “111 Regeln für den Mann von Welt” von Lennart Brand, Schwarzkopf & Schwarzkopf)

Die Büste eines griechischen Athleten neben einer Schreibtischlampe aus den 30er Jahren

Hübsches Detail: Die handbestickte Stoffbordüre aus der Schweiz (möglicherweise Mitte des 18. Jahrhunderts)

Den französischen Gaskamin aus der Belle Époque hat der Hausherr mit einer kleinen Hebebühne und vier Kerzen für den Gebrauch in der Wohnung umgestaltet
Vintage-Stücke

Auf Barbados erstanden: Mahagoni-Esstisch und Stühle aus der Karibik der 20/30er Jahre
Unsere moderne Gesellschaft bevorzugt das Perfekte, das Neue, gegenüber dem Alten, mit Macken und Eigenarten Besetzten. Gegenstände, denen man ihr Alter ansieht werden lieber aussortiert. Aber keiner von uns und nichts ist vom Prozeß der Alterung befreit, und unserer Umwelt tut das ständige Aussortieren und die damit verbundene Abfall- und Schrottproduktion nicht gut.

An der Wand hängt eine alte, umgebauten Stechuhr neben Ölbildern der Mutter des Hausherren. Die Büste eines griechischen Boxers bewacht den Esstisch

Die Vorhänge sind aus einem Webstoff nach einem Muster des schottischen Architekten und Innenarchitekten Charles Rennie Mackintosh (um 1900)

Neben dem Flügel tickt unablässig der Standuhrkopf aus dem 18. Jahrhundert
Altes neu denken
Interessanter und vielschichtiger wäre eine komplexere Wertschätzung von Objekten, deren Gebrauchsspuren und Zeichen der Zeit oft so charakterstiftend sind. Wir sollten eine Haltung zu Objekten und Menschen einnehmen, die ganz individuelle Geschichten erzählen – einzigartig und wunderbar. Unser Stil sollte sich mehr an unseren Werten orientieren! Vintage-Stücke sowie handwerklich gut verarbeitet Objekte sind langlebiger und haben mehr Ausstrahlung als Massenware. Lässt sich nicht manchmal ein kreativer, neuer Umgang mit den Möbeln finden, die sonst zum Sperrmüll wandern würden? Eine neue Farbe, ein neuer Kontext, in dem ein Möbelstück neu aufblühen kann? Altes und Neues können wunderbar in einen Dialog treten, Grenzen verschiedener Stile werden aufgehoben.

Im Arbeitszimmer: Ein Sessel aus dem Historismus

An der Tür des Arbeitszimmers hängt die Pekesche einer Studentenverbindung aus den 20er Jahren

Geschnitzter Pfeifenhalter aus den 30er Jahren
Man kann die Inneneinrichtung ruhig ernst nehmen, sie muss aber keinesfalls ernst sein. Sie darf uns gerne auch zum Lachen bringen. Ohne Humor wäre das Leben zu traurig und alles ginge den Bach runter…

Ehrwürdiges Podest für die Replik einer alten Pickelhaube und einer 20er Jahre Lampe: die King James Bibel aus dem 18 Jahrhundert
Wir leben in einer Welt voller Angebote und Ideen. Auf die eigene Stimme zu hören, aus der eigenen Perspektive zu schauen und Ideen zu entwickeln ist sowohl für uns als auch für andere wesentlich inspirierender. Ein persönlicher Stil kann nicht einfach kopiert werden. Find’ ich gut, bestell ich mir, stell ich hin… nie wird so die gleiche Atmosphäre entstehen wie bei einem gewachsenen Interieur. Dennoch ist es spannend, andere Wohnungen und Häuser zu studieren. Nicht um alles für sich zu kopieren. Aber vielleicht ist es ein kleines Arrangement, ein mutig platziertes Objekt, eine Farbkombination oder die Art der Bilderhängung.
Irgendetwas, das uns innehalten lässt und das wir für unser Interieur übernehmen wollen.

Die Nachbildung einer Römischen Büste neben einer kleinen Porzellan-Sammlung: Augarten “Maria Theresia” aus Wien